AUFRUF ZUR SOLIDARITÄT MIT DEN BETROFFENEN STAATLICHER REPRESSION
23.03.20 11:30 UHR VOR DEM AMTSGERICHT LEIPZIG
Im vergangenen Juli fand in der Hildegardstraße in Leipzig eine brutale Abschiebung statt. Eine solidarische Menge versuchte damals die Polizei an ihrem Handeln zu hindern. Die Polizei reagierte, indem sie dutzende Menschen teils schwer verletzte. Darüber hinaus wurden zwei Menschen festgenommen und saßen über viele Monate in Untersuchungshaft.
Während der Abend für viele Demonstrierende trotz der Polizeigewalt, der sie bereits an diesem Abend ausgesetzt waren ermutigende Momente der Solidarität und des Handelns gegen die Abschiebung beinhaltete, reagierte der Staat nachträglich mit einer Machtdemonstration, die sich gegen die richtet, derer er habhaft werden konnte. Nicht nur die Betroffenen geraten dabei ins Visier, auch das soziale Umfeld der Betroffenen wird so abgestraft. So verlor ein dreijähriges Mädchen für die Zeit der willkürlichen Haft ihren alleinerziehenden Vater, der zweite Betroffene ist bis heute von seiner Familie und seinen FreundInnen isoliert, da er die deutsche Grenze nicht übertreten darf. Nun versucht der Staat die Betroffenen in einem absurd anmutenden Prozess stellvertretend für den starken Widerstand gegen die rassistische Asylpolitik und die Abschiebung zu verurteilen.
Wir rufen dazu auf, am Montag, den 23.03.20, um 11:30 vor das Amtsgericht zu kommen, da der deutsche Strafapparat gegen jede Vernunft zum Schutz vor Corona weiter verhandelt, verurteilt und vollstreckt. Wir sind uns bewusst, dass wir in der aktuellen Situation gut abwägen sollten ob und wann wir uns versammeln. Macht euch Gedanken darüber, ob und was in Hinblick auf euch und euer soziales Umfeld in dieser Situation gerade möglich und sinnvoll ist. Wer kann und möchte ist eingeladen den Prozess im Gerichtsaal zu beobachten. Menschen, die wegen eigener Risikofaktoren oder aus notwendiger Rücksichtnahme und Verantwortung gegenüber Dritten derzeit nicht in einen mit Menschen gefüllten Gerichtssaal sein wollen oder können haben vor dem Gebäude die Möglichkeit anwesend zu sein. Wir sind uns bewusst, dass auch das derzeit für einige nicht in Frage kommt und manche zu dem Zeitpunkt nicht durch physische Anwesenheit ihre Solidarität zeigen können.
Bereits vier Prozesstage sind mittlerweile vergangen. Wir sind froh nach über einem halben Jahr beide Betroffen wieder in Freiheit zu wissen. Angesichts der strafrechtlich schwerwiegenden Vorwürfe des „besonders schweren Fall des Landfriedensbruchs“ und der damit einhergehenden drohenden Konsequenzen für die beiden und ihr Umfeld ist es weiterhin so wichtig wie bisher die kontinuierliche Solidarität, die den beiden von vielen Menschen aus unterschiedlichen Kontexten seit der Festnahme entgegengebracht wurde, aufrechtzuerhalten. Auch steht für uns fest, dass das Handeln der Demonstrierenden mit dem Ziel die Abschiebung zu verhindern, legitim und wichtig war. Das müßen wir gegenüber der Erzählung der Polizei und des Gerichts sichtbar machen. Mit vielen Briefen in den Knast, mit Besuchen, mit Feuerwerk zu Silvester, mit Solidaritätsbekundungen bei verschiedenen Versammlungen, vollen Gerichtsälen mit solidarischen Menschen bei den vergangenen Prozesstagen, Prozessberichten und vielen weitere Aktionen haben wir bereits gemeinsam unsere Solidarität ausgedrückt.
Das Verfahren geht nun absehbar zu Ende, und an diesem Prozesstag kann bereits das Urteil verkündet werden. Wir haben genau wahrgenommen was in den bisherigen Prozesstagen offenbart wurde: Ein Richter der bereits vor der ersten Anhörung deutlich machte, dass es aus seiner Sicht keines individuellen Tatnachweises bedarf, um die Angeklagten zu verurteilen. Ein gewaltvolles Handeln der Polizei auch nach der Festnahme. Verweigerte Telefonate nach der Festnahme. Ein Tatbeobachter, der im Fall eines Angeklagten der einzige Belastungszeuge ist und dessen Aussagen vor Gericht detailreich angebliche Tathandlungen schildert, der aber bezeichnenderweise jede weitere Aussage verweigert, die dazu dienen könnte seine Geschichten zu widerlegen. Ein Dolmetscher, der bei der ersten Vernehmung eines Betroffenen von der Polizei bestellt wurde, der dessen Muttersprache aber gar nicht spricht, der nicht vereidigt ist und in schlechtem Englisch im Gericht Wörter, die im Vernehmungsprotokoll vorkommen falsch oder gar nicht übersetzt. Polizeizeugen, die sich vor ihrer Aussage die Akten durchlesen und diese wortgetreu als ihre angeblichen Erinnerungen widergeben. Anwesende Polizist*innen im Publikum, die Absprachen mit anderen Zeugen vermuten lassen. Ein Polizeizeuge der nachweislich Kontakte mit Rechtsextremisten pflegt. Diese Liste ließe sich fortsetzen. Uns überraschen diese Dinge nicht, sie zeigen aber anschaulich weshalb wir es nicht zulassen dürfen das ein Urteil ohne Öffentlichkeit und anwesende solidarischen Menschen geführt werden kann.
Die letzten Wochen haben uns gezeigt, dass die Gefahr einer sich immer autoritärer gebärdenden staatlichen Politik einerseits und eine damit einhergehenden Mobilisierung rassistischer Täter sich weiter zuspitzt. In den letzten Wochen sind wir gegen die rassistischen Morde in Hanau und gegen die mörderische Politik gegen geflüchtete Menschen an der griechischen Außengrenze auf die Straße gegangen. Wie auch diese exemplarischen Proteste ist der Widerstand gegen die Abschiebung im letzten Jahr Teil unserer Kämpfe, in deren Folge nun die beiden Betroffenen vor Gericht stehen. Eine wichtige Aufgabe von uns allen ist es diejenigen, die bei unserem gemeinsamen Widerstand gegen diese Zustände von Repression betroffen sind nicht alleine zu lassen. Unsere gemeinsame Solidarität ermöglicht es uns auch weiterhin trotz Polizeigewalt, Vereinzelung durch Knast und auf einzelne gerichtete Repression auf die Strasse zu gehen. Unsere Solidarität gilt allen Betroffenen von Repression und Polizeigewalt in der Nacht zum 10. Juli. Unsere Solidarität gilt Mohammed, dessen Abschiebung wir in dieser Nacht nicht verhindern konnten.
Kommt am Mo, den 23.03. um 11:30 zum Amtsgericht!
Berichte von den ersten Prozesstagen findet ihr hier: https://le1007.home.blog/prozessbegleitung/
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Bitte beachtet folgende Hinweise für die solidarische Begleitung von Prozessen:
Lasst eure Handys zuhause, sie werden euch vor dem Saal abgenommen und ihr habt keine Ahnung was in der Zwischenzeit mit den Geräten passiert
Bringt einen Personalausweis/Reisepass mit um euch bei Kontrollen ausweisen zu können